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Dr. Josef Wimmer · November 29, 2021

Leben ist Sein-in-Bewegung. Alles Lebendige bewegt sich. Selbst die Leichenstarre, die wir mit dem bloßen Auge wahrnehmen, ist ein dynamischer Prozess der Wandlung.
Lebendigsein heißt Sich Wandeln, Sich Umgestalten. Jede lebendige Bewegung geht mit einem Gestaltwandel einher. Selbst das unseren Sinnen unbewegt Erscheinende wandelt sich fortwährend. Leben ist fortwährende Umgestaltung – ob organisch oder anorganisch.

Was nun fortwährend geschieht, überholt sich sozusagen ständig selbst und transzendiert somit die Zeit, ist zeitlos. Es gibt keinen Zeit-„Punkt“ des geschehenden Lebens, von dem aus ein Vorher oder Nachher, ein Früher oder Später, Anfang oder Ende bestimmbar wäre. Sein-in-Bewegung, LEBEN, ist per se ewig.
Ein kleines Kind, das schwer erkrankt ist, weiß nichts vom Tod, hat keine Worte für sein Leiden. Es spürt nur Schmerz und ringt nach Luft. Und schreit, jammert, weint. Es ist hilflos. Sein kleiner Körper kämpft um sein Leben, ja, IST ein einziger tobender Überlebenskampf. Die Eltern helfen ihm dabei so gut sie können, tun das Ihre. Und wenn sie keinen Rat mehr wissen, rufen sie den (Not-)Arzt. Oft genug bringt er Hilfe, und es geht wieder aufwärts. Wenn aber alles nichts hilft und das Kind stirbt – weiß es davon nichts. Es hat so wenig einen Begriff vom Sterben wie es einen vom Leben hat. Es IST Leben und lebend überschreitet es die Schwelle des Todes. Sein Leben, mit dem es identisch ist, das aber nie „seines“ war, weil es „mein“ und „dein“ und „sein“ noch nicht benennen und sagen konnte, geht immer weiter. Ewig. Es wandelt nur seine Gestalt.

Von daher können wir, die wir all diese Begriffe haben, doch getrost loslassen, was „unser“ Leben betrifft. Sein Tod ist eine Fiktion, illusionär, glatte Täuschung. Wir SIND (das) Leben. Lebendig so gut wie tot.

Wovor also sich fürchten, wovor Angst haben?
Vor Schmerzen vielleicht? Sie werden kommen, kommen immer wieder und gehen im Prozess des Lebens. In ihnen spüren wir die Verwandlung, die mit „uns“ vor sich geht, am deutlichsten, unabweisbar. Wir können unseren Gestaltwandel aber auch spüren in der Freude, in der Lust, in der Ruhe, in der Bewegung, im Tätigsein, im Nicht-Tun, beim Essen und Trinken, in den verschiedenen Formen der Liebe, die wir fühlen und ausdrücken, beim Singen, Beten, Meditieren und StillsitZEN, beim Yoga, Qui Gong und Tai Chi.

Mit anderen Worten: Wir können unser Leben wahrnehmen, seiner gewahr werden, es anreichern mit freundlicher Aufmerksamkeit, mit liebender Präsenz, mit יהוה – ICHBINDABEIEUCH.

Und aus dem Staunen, der Adoratio, nicht mehr herauskommen…