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Dr. Josef Wimmer · October 13, 2021

Sokrates gilt in vielerlei Hinsicht als einer der weisesten Männer der abendländischen Geistesgeschichte. Sein wohl bekanntester Ausspruch lautet: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“. Kaum bekannt ist allerdings, dass der Satz korrekt übersetzt lautet: „Ich weiß, dass ich nicht weiß“. Das Bewusstsein vom eigenen Nichtwissen hindert uns daran, uns in Meinungen und Informationen festzufahren, uns an einmal Gewusstes zu klammern und es für unhinterfragbar zu halten.

Am 28. Juli 2020 äußerte sich Herr Wieler, der dem regierungseigenen (!) Robert-Koch-Institut vorsteht, bezüglich der Corona-Regelungen (AHA-Regel) folgendermaßen: „Diese Regeln werden wir noch monatelang einhalten. Die müssen also der Standard sein. Die dürfen nie hinterfragt werden. Das sollten wir einfach so tun.“ Und zwar alle 83 Millionen Bundesbürger.

Etwas für „nie hinterfragbar“ zu halten und entsprechend vorzuschreiben, ist Bestandteil totalitärer Diktaturen und einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung gänzlich unwürdig selbst dann, wenn es dem Infektionsschutz zu dienen scheint.

Gott sei Dank gibt es in dieser Angelegenheit genügend zivilen Ungehorsam!

Eine wahrhaft sokratische, also unserer europäischen Geistesgeschichte angemessene Haltung besteht hingegen gerade darin, wie der Altmeister selbst dialogisch nachzufragen und das angeblich Sichere so lange und so eingehend zu hinter-fragen, bis ein echter Konsens erreicht ist.

Wer wie Herr Wieler Konsens diktieren will, erreicht genau das Gegenteil: Dissens – und in dem befinden wir uns gerade gesamtgesellschaftlich in einem erheblichen Ausmaß.

Wir sind gespalten. Und Spaltung ist brandgefährlich, denn die Fronten können sich verhärten und schließlich in gewaltsame Auseinandersetzungen münden.

Niemand kann so eine Entwicklung wollen.

Deshalb müssen wir wieder anfangen, uns zusammenzusetzen und miteinander zu reden, einander Fragen zu stellen und aufrichtige Antworten zu geben. In einem Gebet für heute heißt es: „Hilf du uns allen,
dass wir aufhören, die Gegensätze zu verschärfen, und anfangen, einander Brüder und Schwestern zu sein“.

Hierzu empfehle ich folgende beiden Zeitungsartikel:

https://www.derstandard.at/story/2000129938584/impfdebatte-wider-das-staendige-schueren-von-hass?ref=article&fbclid=IwAR3yZDXJ4WUcatye2x2aJl7X26ZVy1n_TXE8V7op2_dY4i1RzT4a9tU6Prc

https://www.berliner-zeitung.de/open-source/geimpft-oder-nicht-geimpft-wo-liegen-die-grenzen-des-fragbaren-li.179510