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Dr. Josef Wimmer · October 22, 2021

Worauf kommt es heute an? Wenn wir die „Zeichen der Zeit“ richtig deuten und „das rechte Urteil“ finden wollen, müssen wir genau hinschauen. Schlimmer als jede Pandemie-Entwicklung ist die immer weiter voranschreitende Spaltung der Gesellschaft. In dieser Situation ist vor allem eines wichtig: dass wir uns einigen (vgl. Lk 12, 56-58)!
Sich zu einigen bedeutet aber nicht, sich zu „uniformieren“ – unity can never be uniformity! Einigung kann nur gelingen, wenn wir die Einheit in der Vielfalt sehen und anstreben.
Es ist die faschistische Versuchung unserer Tage, dass wir meinen, wir kämen der Lösung unserer vielfältigen Probleme näher, indem wir alle Menschen über einen Kamm scheren.
Selbst der chinesischen Regierung gelingt es nicht, obwohl sie damit unter wechselnden Vorwänden schon sehr weit gekommen ist…Diese Art von Einheit ist immer von außen aufoktroyiert und braucht den Gegensatz zwischen Mächtigen und Ohnmächtigen; sie unterliegt einem atavistischen Herrschaftsstreben, das dem Menschen zwar immer noch innewohnt, aber weit hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt.

Die kultiviertere Form menschlichen Zusammenlebens beinhaltet den herrschaftsfreien Diskurs mit dem Ziel, zu einem echten Konsens zu gelangen – unter Anerkennung der Tatsache, dass es unterschiedliche Positionen gibt. Jeder Prozess einer Einigung setzt voraus, dass sich zwei Einzelne oder auch Gruppen, die uneins sind, auf Augenhöhe begegnen und in gegenseitigem Respekt solange miteinander verhandeln, bis eine Lösung gefunden ist, mit der beide Kontrahenten wirklich zufrieden sind.
Eine friedvolle Kommunikation wird dabei immer auf Gefühle und Bedürfnisse rekurrieren und nicht einfach nur auf vorab eingenommene Positionen pochen.
Wer mit sich selbst einig ist, weiß, dass die eigenen Lebensentscheidungen – von den geringfügigsten bis zu den weitreichendsten – ein sorgfältiges inneres Abwägen zwischen organismischen Bedürfnissen, tatsächlichen Gefühlen, rationalen Überlegungen und spirituell-moralischen Grundhaltungen voraussetzen. Was im Inneren des Menschen zu Ausgeglichenheit und Frieden führt, tut dies auch innerhalb von Partnerschaften, Gemeinschaften und Gesellschaften.
Um der Spaltung in der Gesellschaft heilsam begegnen zu können, ist es daher unerlässlich, dass jede*r bei sich selbst anfängt und sich um Frieden im eigenen Seelenhaus bemüht.