Die goldenen Oktobertage sind die beglückendsten im Herbst. Der Glanz der Sonne lässt noch einmal alles aufstrahlen, was das Jahr so reich gemacht hat und sich vollendet. In grandiosen Gelb- und Rottönen verabschiedet es sich, ehe das novemberliche Todesgrau und –dunkel das Leben zu verschlucken scheint und Ruhe einkehrt.
Nur in ihr und angesichts der Vergänglichkeit können wir Lebendigen erkennen und einüben, worauf es einzig ankommt: DA ZU SEIN.
Und wenn wir noch so stümperhaft damit anfangen – einmal auf dem Weg lässt er uns nicht mehr los!
„Hätten die Nüchternen einmal gekostet“, dichtet Novalis in seiner von Franz Schubert kongenial vertonten „Hymne“, „alles verließen sie und setzten sich zu uns an den Tisch der Sehnsucht, der nie leer wird. Sie erkennten der Liebe unendliche Fülle und priesen die Nahrung von Leib und Blut“.
Präsenz ist der Weg der Liebe, und in ihr erkennen wir die „unendliche Fülle“ des allgegenwärtig Seienden.
Wenige wissen
Das Geheimniß der Liebe,
Fühlen Unersättlichkeit
Und ewigen Durst.
Des Abendmahls
Göttliche Bedeutung
Ist den irdischen Sinnen Räthsel;
Aber wer jemals
Von heißen, geliebten Lippen
Athem des Lebens sog,
Wem heilige Gluth
In zitternde Wellen das Herz schmolz,
Wem das Auge aufging,
Daß er des Himmels
Unergründliche Tiefe maß,
Wird essen von seinem Leibe
Und trinken von seinem Blute
Ewiglich.
Wer hat des irdischen Leibes
Hohen Sinn errathen?
Wer kann sagen,
Daß er das Blut versteht?
Einst ist alles Leib,
Ein Leib,
In himmlischem Blute
Schwimmt das selige Paar. –
O! daß das Weltmeer
Schon erröthete,
Und in duftiges Fleisch
Aufquölle der Fels!
Nie endet das süße Mahl,
Nie sättigt die Liebe sich.
Nicht innig, nicht eigen genug
Kann sie haben den Geliebten.
Von immer zärteren Lippen
Verwandelt wird das Genossene
Inniglicher und näher.
Heißere Wollust
Durchbebt die Seele.
Durstiger und hungriger
Wird das Herz:
Und so währet der Liebe Genuß
Von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Hätten die Nüchternen
Einmal gekostet,
Alles verließen sie,
Und setzten sich zu uns
An den Tisch der Sehnsucht,
Der nie leer wird.
Sie erkennten der Liebe
Unendliche Fülle,
Und priesen die Nahrung
Von Leib und Blut.
Novalis: Schriften. Die Werke Friedrich von Hardenbergs. Band 1, Stuttgart 1960–1977, S. 166-168.
Permalink:
http://www.zeno.org/nid/20005446651
Dietrich Fischer-Dieskau singt die „Hymne“ unnachahmlich:
https://www.youtube.com/watch?v=_zhQUmZGBX8
Präsenz ist die „enge Tür“ (Lk 13, 24), alle Mühe wert, hindurch zu gelangen!