126

Dr. Josef Wimmer · November 6, 2021

Das rasante Sterben und der Tod eines familiär nahestehenden Menschen erschüttert uns in der Tiefe, wühlt den Seelengrund auf und legt Wurzeln frei, die vergessen und verdrängt waren. Dies ist erst recht der Fall, wenn solche Ereignisse familien-systemisch „in Serie“ auftreten, selbst wenn die Abfolge sich auf Jahrzehnte verteilt…
Irgendwann muss eine ehrliche und realistische Bestandaufnahme familiärer Beziehungen, Narrative, Mythen und Wertmaßstäbe anstehen, damit die unselige systemische Dynamik angehalten und umgewendet werden kann. Das kann durchaus schmerzhaft sein, ist aber in jedem Fall heilsam, belebend und zukunftsträchtig.

Da ist beispielsweise hierzulande unser faschistisches Erbe. In den meisten Deutschen lebt der Geist des Faschismus – der NS-Zeit wie auch des preußischen Militarismus – fort. Heute zeigt er sich z.B. im Gewand der Gesundheitsfürsorge als Propagierung der Uniformität: alle sollen geimpft sein, damit der Feind namens Pandemie besiegt werden kann und die Menschen wieder ihre Freiheitsrechte „zurückbekommen“…

Uniformierung dient auf dem Boden der Gier stets der Durchsetzung ebenso verführerischer wie illusorischer Ideen: hier Triumph der Wissenschaft im Sieg über das Virus, dort die heilsame Hegemonie des deutschen Wesens und Herrenmenschentums über die als krank gesehene Welt und ihre minderwertigen Rassen.
Uniformität und grandiose Illusion gehören somit wesentlich zum Faschismus und seiner Geisteshaltung. Man erinnere sich nur an die Vorliebe aller Diktaturen und ihrer Mitläufer für Uniformen und uniformierte, im Gleichschritt daherkommende Aufmärsche bzw. Gedankengänge. Alles giergesteuert.

Mit der Einheitlichkeit geht aber immer die Vielfalt verloren, beginnt die Erstarrung, stirbt die Lebendigkeit. Keine Diktatur der Weltgeschichte hat jemals lange bestanden. Jede ist letztlich kollabiert, zerfallen und verschwunden. Machtapparate – auch kybernetisch-algorithmisch konstruierte – haben per se eine historisch gesehen kurze Halbwertszeit.

Ein anderes Erbe, das bei einer Bestandsaufnahme im „Trauerfall“ sichtbar werden kann, ist das ebenfalls giergesteuerte Habenwollen, die Besitzstandsmehrung. In Familiensystemen, in denen diese Maxime eine Vorrangstellung einnimmt, hat sich ein materialistischer Geist etabliert, der schon die ideale Gesinnung missgünstig beäugt und jede/n spöttisch belächelt, der/die sich von der „Anbetung“ des Mammon distanziert. Mit dem Mammonsdienst aber wachsen die Gottlosigkeit und das Misstrauen, lassen freundlich-zugewandte Aufmerksamkeit und Präsenz nach. Die Liebe wird kalt und berechnend. Tür und Tor öffnen sich für die Kräfte der Zerstörung und des Todes.

Möge jeder Todesfall in unseren Familien uns daran erinnern, wer wir in Wahrheit sind und was letztlich über-lebenswichtig, d.h. einzig wert ist, gelebt und erlebt zu werden: Liebe und Herzlichkeit! Möge jeder Tod uns daran erinnern, dass es im Leben weniger um das Haben geht als um das Sein und das PräsentSein. Möge jeder Tod uns daran erinnern, dass lebendige Vielfalt durch Leben-und-leben-lassen entsteht und Uniformität die Lebendigkeit erstickt!