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Dr. Josef Wimmer · December 2, 2021

Wir Männer würdigen die Frauen viel zu wenig. Sie haben einen von unserem völlig verschiedenen Zugang zur Wirklichkeit, zum Leben, zur Natur, zu G’tt. In ihnen, nicht in uns wächst neues Menschenleben heran, wenn sie es denn wollen.

Wollen sie es nicht, können wir sie nicht daran hindern; sie werden Mittel und Wege finden, es loszuwerden.

Sollten wir also nicht alles tun, um ihnen von vornherein das Austragen und Zur-Welt-Bringen eines Kindes zu ermöglichen und zu erleichtern? Sie zu begleiten, zu schützen, ihren Lebensunterhalt großzügig zu sichern, mit anderen Worten, ihnen unsere Liebe und Fürsorge zu schenken? Lebten wir so, bräuchte keine Schwangere ihr Kind abtreiben – gleich wer es gezeugt hat. Und so viele Diskussionen hätten sich erübrigt…

Gottesfürchtige Juden der Zeitenwende, die wie der einfache Zimmermann Joseph ben Jakob aus Nazareth in Galiläa auf die Stimme ihres Herzens als auf die ihres G’ttes zu hören gewohnt waren, haben so gelebt.

Er hat „Ja“ gesagt zu seiner unverhofft schwanger gewordenen Verlobten. Auf einen Traum hin (!) hat er das in ihr heranwachsende Menschenleben als G’tteskind angenommen – so wie seine junge Frau es schon vor ihm getan hatte, g’ttesfürchtig wie sie war.

Die neutestamentliche Erzählung, wie es zur Schwangerschaft Mariens kam, schildert ein g’ttgewirktes Geschehen. Uns Heutigen erscheint es geheimnisvoll, ungeklärt, schwer nachvollziehbar, unlogisch. Wir sind naturwissenschaftlich geschult und sehen Zeugung, Schwangerschaft und Geburt als biologische Vorgänge, die möglicherweise sogar in naher Zukunft technisch nachahmbar sind. Eine göttliche Dimension, eine transzendente Ein- bzw. Auswirkung, etwas Wunderbares kommt darin nicht vor.
Außer vielleicht im subjektiven, gefühlsbetonten Erleben der Betroffenen - das wir aber geringschätzen und vernachlässigen.
Die heiligen Texte hingegen geben keine uns vertraute Biologie der Zeugung preis.
Wenn wir diese Tatsache einfach einmal so stehen lassen und uns von der Biologik zur Theologik hinwenden, können wir als erstes feststellen: Maria sagt „Ja“ zur G’ttlichkeit und G’ttgewolltheit des in ihr heranwachsenden Menschenlebens - wie wohl alle g’ttesfürchtigen jüdischen Frauen ihrer Zeit und Welt (und vermutlich auch die nach ihr!).
Und dieses „Ja“ ist der entscheidende Schritt in der von uns so bezeichneten „christlichen Heilsgeschichte“! Er bestimmt alles Weitere im Verhältnis der Maria und des Joseph zu ihrem Jesuskind. Von diesem berühmten „Fiat“ an in diesem Kind den Immanuel, den „Gott-mit-uns“ zu glauben und zu sehen, prägt alles Verhalten seiner Eltern ihm gegenüber – bis zur letzten Stunde seines Lebens und darüber hinaus!

Stell dir vor, du vertraust und glaubst, du bringst G’ttes Sohn oder Tochter zur Welt, du hältst den in Fleisch und Blut Mensch gewordenen G’tt in den Armen! Stell dir vor, du stillst G’tt selber in Säuglingsgestalt, du bist eine Mutter G’ttes!

Wie gehst du dann um mit diesem Kind? Und wie gehst du, Mann, mit ihm um als sein Vater?

(In diesem Moment reißt der Himmel vor meinem Schreibtischfenster auf und ein gleißender Sonnenstrahl befeuert mein Gesicht, während die Glocken den Angelus läuten und ich zum Gebet innehalte…)

Grüß dich, Maria, du Begnadete! Du bist ganz liebevoll gegenwärtig - ganz in יהוה, deinem G’tt, dem ICHBINDA, und יהוה ist ganz in dir. Du bist wahrlich „gesegnet unter den Frauen“ und dein „Ja“ war ein lebenslanger Segen für dein Kind, für Jesus, „die Frucht deines Leibes“ – auch wenn du ihn später manchmal für verrückt gehalten hast!

Wenn Maria so eine „Gesegnete“ ist (eine „Benedicta“!), dann gehört sie für mich in die Einheit G’ttes, dann ist die g’ttliche Dreifaltigkeit in Wahrheit eine Quaternität, eine „Vierfaltigkeit“!

Und am Ende ist G’tt wohl schlicht und einfach die Einheit in der Vielfalt, das Geheimnis allen Lebens…
Wie ein Faltenrock, der viele Falten hat und dennoch der eine Rock ist.

Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns arme Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Absterbens. Amen.