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Dr. Josef Wimmer · December 13, 2021

Doch, ja, es gab auch in diesem zu Ende gehenden ver-rückten coronarischen Jahr MMXXI das Herz bewegende Ereignisse, die es wert wären, an seinem Ende noch einmal erinnert zu werden!
Im individuellen Kalender ragen sie ein wenig heraus aus dem Alltäglichen. Doch dieses überwiegt. In ihm bewegen wir uns mehr durch unser Leben und gleichmäßiger als zur Festzeit, die uns im besten Sinne beflügelt und berauscht.
Je „welthaltiger“ die Feste sind, desto mehr Staub wirbeln sie auf, desto mehr (durchaus auch positive!) Unruhe stiften sie in der Menschenseele. Es dauert, bis sich die Wogen der Begeisterung wieder geglättet haben und wir wieder nüchtern sind.
Der allwöchentliche jüdische Festtag, der Schabbat, hingegen ist ganz dem himmlischen Ruhen in יהוה geweiht - ein wahrer Kraftquell! Wie im Übrigen auch der christliche Sonntag!

„Post festum“ im ursprünglichen Sinne von „nach dem Fest“ fängt auf jeden Fall etwas Neues an, ein neues Jahr, eine neue Phase, ein neuer Lebensabschnitt.
Dieses Neue wächst nur langsam, denn alles organische Wachstum braucht Zeit. Und unsererseits Geduld! Viel Geduld! Und freundliche Aufmerksamkeit!

Die Philosophin Hannah Arendt war vom Neuanfangen mehr beeindruckt als vom Zu-Ende-Gehen. Natalität (in ihrer Übersetzung „Gebürtlichkeit“) verheißt und ist das strukturelle Je-Neuwerden der Welt im Menschen und des Menschen in ihr.

Im jüdischen Knaben Jesus kam G‘tt vor gut 2000 Jahren zur Welt, ergriff יהוה die Initiative, sagte einmal mehr Adonai: „Ich bin da bei euch!“ – so die christliche Glaubenslehre von der Menschwerdung G‘ttes. Aber nicht nur in diesem Kind! Mit jedem Neugeborenen kommt das Potential der Neuwerdung der Welt ins Spiel.
Und letztlich birgt überhaupt jeder Neuanfang die Chance der Inkarnation, der Fleischwerdung des g’ttlichen Logos, die Möglichkeit der Realisierung liebevoller Präsenz.

Hören wir also nie auf, anzufangen, und fangen wir nie an, aufzuhören!

Nehmen wir jeden Tag das Geschenk unserer Geburtlichkeit an und beginnen von neuem, liebevoll geistesgegenwärtig zu sein!

„Zen-Geist, Anfänger-Geist“ lautet der Titel eines berühmten Buches mit Unterweisungen in Zen-Meditation. Es stammt von Shunryū Suzuki, einem japanischen Zen-Meister, der 1962 das San Francisco Zen Center gründete.
In solchem Anfänger-Geist können wir das Leben meistern, die dystopischen Vorstellungen loslassen, die uns derzeit beunruhigen, und uns auf den Alltag als Übung besinnen.