Die längste Nacht und der kürzeste Tag des Jahres liegen hinter uns. Dieses Wissen macht etwas mit uns. Es polt uns gewissermaßen um. Wir sind nicht mehr auf das Immer-Weniger ausgerichtet, sondern wieder auf das Immer-Mehr – bis auch dieses wieder kulminiert im ewigen Auf und Ab. Im Kreislauf des Lebens. In der Bewegung des Seins.
Doch: bewegt es sich überhaupt? Oder vermittelt es nur den Anschein von Bewegtheit? Ist es als SEIN unbewegt? Können wir „unbewegt“ überhaupt wahrnehmen, wo wir doch selber als Lebendige ständig in Bewegung sind?
Unlösbar scheinende Fragen, die sich aus dem Fragen entwickeln, aus dem Wissen schließlich als Antwort hervorgeht…
Unser Wissen jedenfalls verändert uns, und je mehr wir in je kürzerer Zeit wissen, desto mehr verändern wir uns, desto schneller geht die Veränderung vor sich, desto schneller altern wir.
Gottfried Benn dichtete Mitte der 50er Jahre noch: „Dumm sein und Arbeit haben: / das ist das Glück“ (Eure Etüden. In: Gesammelte Gedichte. 2. Auflage, Wiesbaden: Limes Verlag, 1956. S. 327).
Eure Etüden Eure Etüden, Arpeggios, Dankchoral sind zum Ermüden und bleiben rein lokal.
Das Sakramentale – schön, wer es hört und sieht, doch auch Hunde und Schakale die haben ihr Lied.
Das Krächzen der Raben ist auch ein Stück – dumm sein und Arbeit haben: das ist das Glück.
Ach, eine Fanfare, doch nicht an Fleisches Mund, daß ich erfahre, wo aller Töne Grund.
In den überregional-kosmischen und transgenerational-weltgeschichtlichen Zusammenhängen, in denen Gottfried Benn alle „eure“ (sprich: unsere!) kulturellen Errungenschaften (vor allem die Musik) denkt, bleibt außer kreatürlichen Lautäußerungen von ihrer Sinnstiftung nur eines übrig: die Sehnsucht nach der transzendental-urlauten Erfahrung des Ur-Grundes aller Töne.
„Aller Töne Grund“ ist das Urwissen, vor dem alle Dateien und Informationsgebirge und alles Glück und Unglück, was aus ihnen entsteht, klein und nichtig erscheinen. Ich weiß, dass ich nichts weiß, sagte der glückliche Sokrates. Und der musste noch nicht mal arbeiten…