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Dr. Josef Wimmer · August 18, 2022

Predigtgedanken zu Lk 1, 39-56 im Requiem für Walter K.


Das Evangelium, das im berühmten „Magnificat“ gipfelt, wird am Fest Mariä Heimsuchung (2. Juli) gelesen.
Warum habe ich es für die Eucharistiefeier zu Walters Beerdigung ausgewählt, die eine Dankesfeier für sein Leben sein soll?
Sicherlich nicht, weil das Leben von Walter einige Heimsuchungen aufweist, die ihm schwer zugesetzt haben. Eher schon wegen der Gipfelerfahrungen oder peak experiences, zu denen sie ihn führten.

Als sein Denken und Fühlen bis zuletzt bewegendes, ja grundstürzend lebensveränderndes Ereignis möchte ich die von ihm oft erzählte Vertreibung aus der böhmischen Heimat anführen, die er verarbeiten musste. Er hatte ja wie so viele andere seiner Generation gerade in seiner Heimat Hitler und seiner Ideologie geglaubt und war geblendet von seinen Taten. Er sah lange nicht, was diese an Unrecht und Grausamkeit bewirkten. Erst durch die Vertreibung seiner Familie und so vieler anderer aus der angestammten Heimat hat er erkannt, worin er sich verstrickt hatte und welchem Irrglauben er angehangen war.
Durch diese ihn zutiefst erschütternde Einsicht hat Walter zum christlich-katholischen Glauben gefunden – und in ihm wahre Freiheit und Menschlichkeit, die ja doch immer nur als auf Gott bezogene Kraft und Geltung besitzen!
Fortan war es der Glaube, der ihn bewegte und vorantrieb, immer tiefer hinein in die mystische Dimension des „Ganz-in-Gott-Geborgenseins“. Und es war der unter den Bedingungen unseres Wohlstands zunehmende Unglaube, der ihn sich ereifern und Zeugnis geben ließ. Nie wieder sollte ein Irrglaube die Menschen zur Inhumanität und Gottlosigkeit verführen! Dafür machte sich Walter in all den Jahrzehnten stark, die ich ihn kennenlernen durfte. Zeugnis geben für Christus und die Heilige Schrift und die Kirche Gottes – das war eine echte Berufung von ihm, und er hat sie in vielfältigen kirchlichen Aktivitäten gelebt.
Es war die erschütternde „Heimsuchung“ seiner Vertreibung, die ihn zu sich, zur Mitte seiner Existenz, zum Gott seines Lebens heimsuchen und heimfinden ließ. Maria war auch in der Tiefe ihrer Seele erschüttert, als sie durch den Besuch des Engels erfuhr, sie würde den Messias auf die Welt bringen – eine größere Gnade konnte es doch für keine jüdische Frau geben! Und Maria war noch so jung und im Kinderkriegen unerfahren! Was Wunder, dass sie auf und davon lief, um sich erstmal in der vertrauten Nähe ihrer „Base“ Elisabeth zu bergen angesichts dieser göttlichen Einwirkung auf ihr Leben! Diese Bewegung weg vom Ort der existenziellen Erschütterung hin zu einem vertrauten Menschen war zugleich ein Weg zu sich selbst, in ihre innerste Mitte, dorthin, wo יהוה sie heimgesucht hatte!
Ihr eigenes Heimsuchen ist danach der Versuch, wieder zu sich selbst zu finden und zu einem Begreifen des Allgewaltigen, dem sie sich doch schon längst anvertraut hatte! Alles wirkliche Begreifen ist Gebet, Lobpreis! Meine Seele preist die Größe des Herrn!

Wir können Walters Lebensbewegung auf diesem Hintergrund vielleicht besser verstehen: als einen Weg, der ihn aus der existenziellen Erschütterung über seine Verirrung im Hitlerismus in eine immer größere Nähe und Geborgenheit in Gott, ja eine mystische Erfahrung des Einsseins in Christus mit dem Allgegenwärtigen geführt hat. Dafür dürfen wir Dank sagen am heutigen Tag und in dieser Stunde und mit Walter im Geiste das Magnificat singen, das Maria anstimmt, als sie mit Elisabeths Hilfe von Frau zu Frau ihre göttliche Begnadung annimmt, den Erlöser der Menschheit auf die Welt zu bringen:

KV: Groß sein lässt meine Seele Adonai יהוה, denn er ist mein Retter; groß sein lässt meine Seele Adonai יהוה, denn er ist mein Heil!

1. Laut rühmt meine Seele Gottes Macht und Herrlichkeit, und mein Geist frohlockt in meinem Retter und Herrn. Denn sein Auge hat geschaut auf seine kleine Magd, und nun singen alle Völker mit mir im Chor.

KV: Groß sein lässt meine Seele Adonai יהוה

2. Denn der Starke hat Gewaltiges an mir getan, und sein Name leuchtet auf in herrlichem Glanz. Er gießt sein Erbarmen aus durch alle Erdenzeit über jeden, der im Herzen Vater ihn nennt.

KV: Groß sein lässt meine Seele Adonai יהוה

3. Große Taten führt er aus mit seinem starken Arm. Menschen voller Stolz und Hochmut treibt er davon. Die die Macht missbrauchen, stößt er hart von ihrem Thron und erhebt, die niedrig sind und arm in der Welt.

KV: Groß sein lässt meine Seele Adonai יהוה

4. Hungernde lädt er zum Mahle ein an seinen Tisch, doch mit leeren Händen schickt er Reiche nach Haus. Seines Volkes Israel nimmt gütig er sich an, wie er Abraham und allen Vätern verhieß.

KV: Groß sein lässt meine Seele Adonai יהוה

5. Ehre sei dem Vater, der uns einlädt in sein Reich, Ehre sei dem Sohne, der die Liebe uns zeigt, Ehre sei dem Geiste, der die Einheit uns verleiht, wie im Anfang so auch jetzt und für alle Zeit!

KV: Groß sein lässt meine Seele Adonai יהוה, denn er ist mein Retter. Groß sein lässt meine Seele Adonai יהוה, denn er ist mein Heil.

(Text nach „Effata. Neue religiöse Lieder“, Passau 1990, Nr. 241)