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Dr. Josef Wimmer · August 20, 2022

„Wer schweigt stimmt zu“ titelt Prof. Ulrike Guérot, die hochgescheite und leider vielfach diffamierte Politikwissenschaftlerin und Vordenkerin einer europäischen Republik ihr neuestes Buch, ein flammendes Plädoyer für die Überwindung der durch die Coronapandemie bedingten Krise, in die wir weltweit geraten sind. Und sie lädt nachdrücklich dazu ein, dass wir wieder ins Gespräch miteinander kommen – wir, das sind die über den Umgang mit dem Virus auseinander gedrifteten, ja „gespaltenen“ Gesellschaften und Gemeinschaften Europas. Sie lässt keinen Zweifel daran, was alles in den vergangenen zweieinhalb Jahren „abgeräumt“ wurde und welche Züge in Richtung „paratotalitäre“ Systeme bereits abgefahren sind. Dennoch hält sie daran fest, dass wir die lange gereifte Vorstellung und Praxis von Menschlichkeit, Menschenwürde und Demokratie noch retten können.

Nachdem mir selbst allmählich dämmerte, dass es an der Zeit sein könnte, vorsichtige Schritte aus der inneren Emigration, in die ich mich verabschiedet hatte („ich habe fertig!“), in Richtung Versöhnung zu wagen, kommt mir der pragmatische Enthusiasmus von Frau Guérot motivierend entgegen. Ich engagiere mich für das von ihr initiierte European Democracy Lab und will noch einmal glauben, dass es Wege aus dieser Katastrophe des 21. Jahrhunderts gibt, dass noch nicht alles endgültig verloren ist…

Aber diese Wege werden steinig sein und zugleich Kampf und Kontemplation erfordern. Der Gründer von Taizé, Roger Schutz, hat für den christlichen Weg der Brüder beides zusammengebunden, Tatkraft und Beschaulichkeit! Jesus hat seinerzeit die Voraussetzung dafür als „metanoia“ bezeichnet: das Umdenken, Über-das-Gewohnte-hinaus-Denken, als den Geist, der das Denken überschreitet, über es hinausgeht.

In der Einheitserfahrung findet Metanoia paradigmatisch statt, und sie hängt aufs Engste zusammen mit der Übung der Liebenden Präsenz: ICH BIN BEI DIR, ICH BIN DA, ICH BIN, יהוה.