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Dr. Josef Wimmer · August 23, 2022

Der 1998 erschienene irisch-britisch-amerikanische Film „Tanz in die Freiheit“ (Originaltitel: „Dancing at Lughnasa“ wie das gleichnamige Bühnenstück des irischen Dramatikers Brian Friel, 1929-2015) spielt im Sommer 1936 im ländlichen Irland und erzählt die nicht untypische Geschichte einer Familie von fünf Schwestern und einem Bruder, die gemeinsam im abgelegenen Bauernhaus ihrer offenbar bereits verstorbenen Eltern leben. „Familienoberhaupt“ ist die älteste Schwester, Kate (gespielt von Meryl Streep), die als streng katholische Dorflehrerin das Geld für die andern verdient und ein unerbittliches Regiment führt, dem sich alle zu fügen haben. Eine der Schwestern hat ein lediges Kind, Michael, aus dessen Perspektive die Geschichte erzählt wird. Der Vater des Kindes ist ein liebenswürdiger Taugenichts, der gelegentlich vorbeischaut und viel verspricht, aber wenig hält. Jack, der als Missionar in Afrika gewirkt hat, befindet sich auf der Heimreise und wird von seinen Schwestern freudig erwartet.

Doch das Familiensystem, das „Gefüge“, in das alle Beteiligten eingefügt und sich einzufügen gewohnt sind, löst sich allmählich auf: die Autorität von Kate schwindet - um so mehr, als sie ihre Position als Lehrerin verliert. Die Fügsamkeit ihrer Geschwister nimmt dramatisch ab, Jack ist schwer zu re-zivilisieren und verbrüdert sich mit Michaels sanguinischem Vater. Schließlich münden diese Auflösungserscheinungen aber vor dem Hintergrund des Niedergangs der überlieferten christlichen Kultur und wiedererstarkender ekstatischer Bräuche in der Dorfgemeinschaft - dem wilden Tanz um das Mittsommernachtsfeuer, Lughnasa - in einen nicht minder ausgelassenen, lustvollen und kathartischen (Hexen-?)Tanz der Schwestern.

Danach ist nichts wieder, wie es einmal war. Der Sommer wird zu Ende und in einen traurig-trüben Herbst übergehen. Die „Familie“ zerfällt endgültig; ihr Ende wird nur noch angedeutet bzw. knapp erzählt: zwei Schwestern verlassen das Haus bei Nacht und Nebel; Michaels Mutter versauert als Arbeiterin in der Strickfabrik; sein Vater, im Spanischen Bürgerkrieg verwundet, endet irgendwo in der Fremde. Kate versinkt in der Trauer um ihre auf Nimmerwiedersehen verschwundenen Schwestern, und ihre nächstjüngere tanzbegeisterte Schwester Maggie versorgt Haus und Hof, als hätte sich nichts verändert, während Onkel Jack, der in den Ruhestand versetzte Priester, weiterhin geistig in seiner von den afrikanischen Erfahrungen geprägten naturreligiösen Welt abhängt.

Der kleine Michael sagt: „Ich, ich wartete darauf, ein Mann zu werden, wartete darauf, fortzugehen, einfach wegzugehen“.
Mit seinen letzten Sätzen im Film kommt schließlich etwas ganz Neues, geradezu Postdiluvianisches in den Blick – etwas, das sich aber gerade in Zeiten wie diesen prophetisch anhört:

“Aber die Erinnerung an diesen Sommer ist wie ein Traum, erfüllt von einer Musik, die man hören kann und die doch nur Illusion ist, die sie selbst ist und zugleich ihr eigenes Echo. Wenn ich an diesen Sommer zurückdenke, erscheint er mir wie ein einziger Tanz - als sei Tanzen die Sprache der Hingabe an die Bewegung, Tanzen, als gebe es keine Sprache, weil Worte nicht mehr nötig sind.”