Mein Schutzengel heißt Dido, und heute hat sie Geburtstag.
Wieso sie mein Schutzengel ist?
Gestern hab ich sie (und alle anderen Himmlischen!) angerufen und gebeten, mir doch zu helfen, damit ich die „Zutaten“ finde, die ich für ihren Geburtstagskranz brauche - als da sind: Rainfarnstängel, kleine Äste mit Eichenlaub, kleine Äste mit Ebereschenbeeren.
Und sie hat es getan!
Als sie auf die Welt gekommen war, begrüßte ihr Vater sie mit einem sommerlichen Kranz aus Feuerrot, Laubgrün und Sonnengelb. Es waren vermutlich die ersten (!) Farbeindrücke in ihrem Leben.
Jedes Jahr bekam sie von ihm zum Geburtstag einen solchen Kranz! In der Diele des Arzthauses habe ich ihn zum ersten Mal gesehen, als ich mit Dido dort zum Geburtstagfeiern war.
Ich hab‘ den schönen Brauch übernommen und ihr fortan jedes Jahr den Geburtstagskranz gebunden. Auch nach ihrem Tod vor zehn Jahren habe ich diese „Übung“ beibehalten.
Es entspricht der Tiefe unserer Bindung, dass ich trotz - oder wegen? - all der Kränkungen, die ich ihr zugefügt habe, über ihr Ableben hinaus das geburtstägliche Kranzbinden beibehalte.
Zum ersten Mal ist es mir heuer, 2021, im 2. Pandemischen Jahr, schwergefallen.
Woran das gelegen haben mag? Mir fehlte einfach der Antrieb. Ich hab mich von so viel verabschiedet, seit diese seligmachende Pandemie über uns gekommen ist – und es kommt mir vor, als seien es allesamt Abschiede für immer gewesen. Auch von Dido verabschiede ich mich allmählich; sie rückt mir fern, ich löse mich von ihr. Ich fange an zu sterben.
Fast im letzten Moment kommt mir dann noch eine Idee: ich leihe mir das Auto meines Freundes Joy, dann komme ich relativ wetterunabhängig vor die Stadt und kann nach den „Zutaten“ suchen…. Er wollte übers Wochenende nach Berlin fahren und dort mit Dido’s Nichte deren 50. Geburtstag feiern, der ebenfalls heute fällt.
Ich bekam das Auto, und nachdem ich ihn zum Bahnhof gebracht hatte, fuhr ich die Dachauerstraße stadtauswärts – Dido und alle Himmlischen anrufend: „Bitte, hilf mir, dass ich die nötigen Zutaten bekomme!“
Auf der Höhe von Ludwigsfeld sehe ich rechter Hand im Wald, der die Straße begrenzt, eine Eiche stehen. Vielleicht gibt’s in dem Wald dort das, was ich suche?
Ich biege ab, komme erst an einem Campingplatz, dann an einem aufgelassenen Gutshof vorbei und gerate in eine Wendegasse. Der Linienbus, der von dort abfährt, hat eine eigens ausgebaute Schlaufe, in der er seine Richtung drehen kann. Dahinter geht die Straße als Geh- und Radweg in den Wald hinein weiter.
Wegen des überall geltenden Halteverbots muss ich mir anderwo einen Parkplatz suchen. Ich finde ihn in der Nähe, am Rand eines großen Blumenfeldes, auf dem ich Gladiolen und Dahlien entdecke.
Während ich auf dem Weg in den Wald am Gutshof entlanggehe, kommt auf einmal einer meiner Schwabinger Glaubensbrüder entlanggefahren. Ich rufe ihn und sage, als er endlich stehen bleibt und sich mir zuwendet: „Du kommst ja wie gerufen! Dich hat der Himmel geschickt!“
Wir wandern in den Wald hinein, während ich ihm erzähle, warum ich hier bin und dass er „ein Engel“ ist. Er erzählt mir, dass er ausgerechnet und ausnahmsweise heute früher von seinem Waldgrundstück aufgebrochen ist, weil er noch einen nachmittäglichen Termin hat.
„Ausnahmsweise“!
Und „ausgerechnet!“ hier treffen wir uns, wo ich seinen Rat so notwendig brauche! Das hat die „himmlische Regie“ arrangiert, von der Dido zeitlebens ja immer wieder gesprochen hatte…!
Und jetzt ist sie es, die im Himmel die Fäden ziehen bzw. den Algorithmus ausführen darf, gemäß dem die Dinge hier auf Erden sich der Reihe nach ereignen – natürlich nicht ohne den Willen des Vaters und dem Einverständnis der Mutter! ;-)
Mein Bruder-Engel zeigt mir schließlich auf einer Anhöhe eine schön gewachsene Eiche; dankbar verabschiede ich mich von ihm und steige den Hang hinauf. Oben finde ich sogar auch noch ein paar Ebereschenbäume!
Ich bin gerettet – und beginne mit meinem „Beutezug“….
Reich beschenkt und dankbar steige ich nach einer Weile wieder ab und trage mein Laub zum Auto.
Dort will ich mir unbedingt noch Blumen vom Feld mitnehmen.
Als es ans Zahlen geht, bemerke ich, dass ich kein Kleingeld bei mir habe.
Da schickt mir Dido, meine himmlische Regie-Assistentin, eine sportliche Radfahrerin vorbei. Ich halte sie an und frage, ob sie mir zufällig einen Fünfzig-Euro-Schein wechseln könne.
Und tatsächlich: sie kann es!
War ich froh!!! Und einmal mehr dankbar!
Jetzt war ich so inspiriert, dass ich gleich wusste, wo ich den Rainfarn finden würde: an der Freisinger Landstraße.
Kurz vor Mitternacht hing der Geburtstagskranz im Schlafzimmer und fing an, seinen wunderbaren Duft zu verströmen.
Ich bin zufrieden, ihn doch gebunden zu haben – auch wenn es vielleicht der vorletzte ist.
Nur mit Hilfe der Himmlischen Regie hängt er heute dort!
Weil ich meine alte Dido so angefleht hab, mir zu helfen, und weil es so wunderbar „funktioniert“ hat, bin ich jetzt restlos überzeugt, dass sie nicht nur dabei, sondern überhaupt in meinem Leben ihre Hände „im Spiel“ hat.
Das heißt: Dido ist mein Schutzengel, meine himmlische Regie-Assistentin, die mir hilft, mein Drehbuch zu realisieren!
Wenn ich Dich bisher noch nicht so tituliert habe, meine Liebe, dann aus Unkenntnis.
Dabei schwebst Du sogar am Fenster über mir – eine wohlbeleibte Engelsdame mit zarten Federchenflügelchen! Danke, dass Du meine Knoten löst und alles zu meinem Besten einfädelst!
P.S. Von nun an und für immer bist Du mein „Schutzengel“, und ich sage Dir gern immer wieder einmal „durch die Blume“, wie dankbar ich bin, dass Du Anfang der Siebziger Jahre in mein Leben getreten bist und mir seither Regie führen hilfst!
Sollst leben in der Glückseligkeit des Himmels!