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Dr. Josef Wimmer · August 11, 2021

Trauerrede für Otto W.

Otto starb am 8. August 2021, an dem Tag, an dem ich meine vor 10 Jahren verstorbene Lebensgefährtin Dido endlich und endgültig in den Himmel verabschiedet und zu meiner himmlischen Regie-Assistentin erklärt habe. Insofern ist sein Todesdatum für mich persönlich von großer Bedeutung.

Über Otto‘s Leben möchte ich setzen, was an ihm in den letzten Jahren, die ich durch Dich, liebe Therese, intensiv miterleben durfte, immer deutlicher zum Vorschein gekommen ist: „Er ließ dem Tod keinen Spielraum“ oder positiv ausgedrückt: „Er verteidigte sein Leben mit jeder Faser - bis zum quälenden Ende und letzten Atemzug“.

Was für eine Gestalt ist da von uns und vor allem von Euch, seinen Liebsten, gegangen! Ihr wisst das selber am allerbesten und ihr werdet sie in der vor Euch liegenden Zeit noch oft vor Augen, im Ohr und im Herzen haben. Und Ihr werdet hoffentlich viel über ihn reden und reden hören.
Ein kämpferischer und siegesgewisser Mann wie Otto hinterlässt tiefe Spuren – auch Wunden natürlich! Sie in allen Dimensionen klar vor Augen zu bekommen, liegt nun an Euch – denn wir kommen nicht daran vorbei, alles Trennende und Gemeinsame, was uns mit unseren nahestehenden Verstorbenen verbindet, zu sortieren, zu verstehen und schließlich auch ad acta zu legen, um frei von unseren Bindungen an sie weiterleben zu können.

Aber jetzt sind wir erst einmal voller Staunen damit beschäftigt, wie Otto gestorben ist. Wie oft ist er in seiner letzten Lebenszeit dem Tod schon von der Schippe gesprungen!

Dazu fällt mir eine muslimische Weisheitsgeschichte ein, die ich vor vielen Jahren einmal gehört habe: Es ist die Geschichte vom König, der dem Tod entfliehen möchte und sie handelt natürlich von jedem und jeder von uns, weil sie letztlich eine mystagogische Geschichte ist und das Zunichtewerden des Ego beschreibt. Für das Ego steht in der traditionellen Bildersprache der König:
“Eines Nachts sah ein König im Traum einen schwarzen Schatten vor ihm stehen. Mit zitternden Händen und klopfendem Herzen fragte er: „Wer bist du?” Der Schatten sagte: „Das spielt keine Rolle. Ich muss dich darüber informieren, dass du morgen Abend, wenn die Sonne untergeht, sterben wirst.” Der Schatten verschwand. Der König schwitzte und wachte auf. Mitten in der Nacht holte er alle seine Berater, die Astrologen, die Handleser und Propheten, um seinen Traum zu deuten: Was er wohl bedeutete? Sie suchten in vielen Schriften nach einem ähnlichen Vorfall, doch das war nirgends vorher vorgekommen. Der Tod informiert niemanden, wann er kommt. Er kommt einfach und klopft vorher noch nicht einmal an die Tür.
Die Sonne ging auf. Ein alter Diener, der fast wie ein Vater für ihn war, kam zum König und sagte zu ihm: “Ich bin kein Gelehrter, auch kein Astrologe und kenne mich nicht mit Alchymie aus. Ich weiß überhaupt nichts von diesen Dingen. Eines aber weiß ich: Du solltest nicht im Palast bleiben. Nimm’ unser bestes Pferd und reite so weit wie möglich weg von der Hauptstadt. Wenn möglich in ein anderes Königreich.”
Das leuchtete dem König ein und er nahm seinen besten Araberhengst und ritt los. Das Pferd galoppierte in vollster Geschwindigkeit, ohne auch nur einen kleinen Moment zum Trinken oder Fressen anzuhalten.
Kurz bevor die Sonne unterging, erreichten sie ein anderes Königreich. Dort gab es einen Mango-Hain. Die Sonne ging langsam unter und der König dankte seinem treuen Pferd für seine Rettung.

Da fühlte er eine Hand auf seiner Schulter. Er drehte sich um und sah den gleichen schwarzen Schatten wie im Traum.
Dieser sagte zum Pferd: “Ich möchte dir ebenfalls danken. Ich machte mir schon Sorgen, ob du diese große Entfernung schaffen würdest, weil es das Schicksal des Königs ist, in diesem Mango-Hain zu sterben. Genauso wie dir der König dankbar ist, so bin ich es auch.”

Was tun, wenn der Tod naht? So rational wir auch denken mögen, mit der Ratio ist dem Tod nicht beizukommen. Der Tod ist die Tür zu einer unbekannten Dimension. Sie kennenzulernen bleibt uns nicht erspart, und es haben sich die Größten von uns Menschen aufgemacht, diese Dimension zu erforschen. Das Tibetische Totenbuch zum Beispiel gibt davon Zeugnis, wie wir wissen. Das weltweit geschätzte Oberhaupt der tibetischen Buddhisten, der Dalai Lama, sagt: „Das Wichtigste ist, dass wir im Tod die Welt entspannt verlassen“. Und Jesu Lehre beinhaltet dasselbe, wenn er im 12. Kapitel des Johannesevangeliums durch den Mund des Evangelisten rät: „Wer an seinem Leben hängt, verliert es; wer aber sein Leben in dieser Welt gering achtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben“ (Joh 12, 25).
Wenn das mit dem Loslassen mal so einfach wäre…!

Ich für mein Teil habe beschlossen, schon bei meinen Lebzeiten mit dem Entspannen anzufangen, damit ich so weit bin, wenn es soweit ist.

Einem Siegertypus wie Otto stand das leider nicht zu Gebote, und sein Körper ebenso wie seine Psyche, sein Geist und sein Ego, mussten vieles erleiden, ehe er die Welt verlassen konnte. Hoffen wir, dass er auf den ersten Metern in der Anderwelt nicht stehenbleibt, sondern auch dort mutig voranschreitet. Er hat viel Gutes hinterlassen – möge es seiner Seele helfen, weiterzukommen!

Darum geht es doch im Leben, liebe Trauergemeinschaft: dass wir alle Bindungen an das Irdische loslassen können und in vollkommener Gelassenheit sowohl leben als auch sterben!

„Selbst Intelligenz hilft nicht gegen den Tod“ kommentiert Osho diese Geschichte vom König, der dem Tod entkommen wollte, und er fährt fort: „Eine wunderschöne Geschichte, die man etwas tiefer betrachten muss. Das Denken trägt uns immer weit fort. Der Diener handelte rational, intelligent – viel intelligenter als die Gelehrten, die nur Bücher wälzten. Aber Denken bleibt Denken. Wenn ein erleuchteter Mensch dabei gewesen wäre, dann hätte der gesagt: ‚Es ist noch genug Zeit. Geh‘ einfach nach innen. Es braucht kein Pferd dazu, du brauchst dich keinen Zentimeter nach außen zu bewegen. Geh‘ nach innen, und du wirst keinen Tod finden. Der Tod besteht nur für diejenigen, die ihr Leben in der äußeren Welt leben. Diejenigen, die ihr tiefstes Zentrum kennen, für die ist der Tod nur ein Schatten. Er hat keinen Bestand, keine Substanz, keine Realität“ (https://www.findyournose.com/geschichte-koenig-tod-entfliehen).

In diesem Sinne möchte ich Dir noch einmal nachrufen: „Lieber Otto, lass los! Wir tun es auch“.