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O Du Ahnungsloser! Du bildest dir ein, dein Leben in der Hand zu haben und Herr zu sein über alles, was ist und lebt. Nichts hast du, nichts bist du! Ein Häufchen Asche, Würmerfraß! Die Welt, in der du Herr spielen kannst, ist eine tote Welt, eine mechanische, eine technische. Leben findest du in ihr nicht, nur Dinge aus dem Stoff der Erde, die du nicht gemacht hast und die vor dir da war. Du wähnst, du könntest das Leben von acht Milliarden Menschen beherrschen und versuchst es mit aller Gewalt. Aber das kannst du nicht – nicht heute und nicht morgen. Nie! Du kannst es töten, so wie du es unzählige Male schon getan hast in deiner Geschichte. Beherrschen kannst du es nicht.
Solange etwas lebendig ist, wird das Leben in ihm sich nach dem ausstrecken und suchen, was es nährt und mehrt. Und sicher nicht nach dem, was es einschränkt und unterdrückt und missbraucht und vergiftet und kränkt. Herrschaft ist gewaltgestützter Missbrauch von Leben. Beim sexuellen Missbrauch ist es uns endlich ansatzweise aufgegangen, aber der Missbrauch der Menschenleben erstreckt sich noch auf viel mehr Bereiche. Wir erleben es doch: unter einer gewaltsam oder auch manipulativ sich durchsetzenden Herrschaft verkümmert das Leben und erstirbt. Gleich wie wir beherrscht werden und uns beherrschen lassen – unser und aller Leben gedeiht nur in Freiheit.
Lass das Beherrschenwollen bleiben! Solange du meinst, herrschen und bestimmen und dominieren zu müssen, wirst auch du unfrei sein. Erst wenn du es sein lässt, bist du frei. Und lebst auf zusammen mit allen Freien!

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Trauerarbeit kostet Kraft, auch wenn sie die Seele entlastet. Nach einer aufwühlenden Feier des Abschieds von einem lieben Menschen können und sollen wir nicht zu irgendeiner Tagesordnung übergehen. Vielmehr brauchen wir Zeit und Ruhe, damit das innere Gewoge sich wieder glättet und stillt. Wei Wu Wei.

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Am 15. Mai 1910 hielt der Philosophieprofessor und Domherr an der Londoner St. Paul’s Cathedral, Henry Scott Holland, eine Predigt, die unter dem Titel „The King of Terrors“ überliefert ist (https://en.wikisource.org/wiki/The_King_of_Terrors). Kurz zuvor, am 6. Mai, war King Edward VII., ältester Sohn von Queen Victoria, im Alter von 69 Jahren verstorben. Ich gebe sie hier auszugsweise und in einer vorläufigen Übersetzung durch mich wieder:

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Das rasante Sterben und der Tod eines familiär nahestehenden Menschen erschüttert uns in der Tiefe, wühlt den Seelengrund auf und legt Wurzeln frei, die vergessen und verdrängt waren. Dies ist erst recht der Fall, wenn solche Ereignisse familien-systemisch „in Serie“ auftreten, selbst wenn die Abfolge sich auf Jahrzehnte verteilt…
Irgendwann muss eine ehrliche und realistische Bestandaufnahme familiärer Beziehungen, Narrative, Mythen und Wertmaßstäbe anstehen, damit die unselige systemische Dynamik angehalten und umgewendet werden kann. Das kann durchaus schmerzhaft sein, ist aber in jedem Fall heilsam, belebend und zukunftsträchtig.

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Sind die zivilisatorischen Errungenschaften sinnstiftend, d.h. weisen sie über sich selbst hinaus? Wohl kaum, dienen sie doch in erster Linie dazu, das Leben erträglich und darüber hinaus so bequem und vergnüglich wie möglich zu machen.

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